Influencerin Anna Orlova über ihre Kindheit in Kattenturm (2024)

Frau Orlova, man weiß nicht so ganz genau, wie man sie beruflich bezeichnen soll – Radiomoderatorin, Influencerin, Teilnehmerin an Fernsehsendungen? Wie bezeichnen Sie selbst Ihren Beruf?

Anna Orlova: Ich bin Unternehmerin und Radiomoderatorin. Ich moderiere seit einigen Jahren beiJamFM in Berlin eine eigene anderthalbstündige Live-Sendung, und als Unternehmerin vermarkte ich mich selbst. Ich bin als Profi Annajamfm, temperamentvoll und grob. Als Privatperson Anna Orlova bin ich etwas ernster und erwachsener.

Was meinen Sie mit erwachsener?

Ich achte auf einiges im Leben, was man Annajamfm vielleicht nicht zutrauen würde: Ich teile mein Geld mit anderen, mit Freunden oder Fremden, denen es schlecht geht. Ich helfe, wo ich kann, aber ich bin auch eine knallharte Geschäftsfrau. Das wissen die meisten meiner Follower nicht. Mein Privatleben teile ich nur in gewissen Grenzen.

Für diejenigen, die Sie nicht kennen: Sie waren bei RTL in der Kuppelshow "Take me out" und in der ersten Staffel des Reality-Formats "Couple Challenge" zu sehen. In beiden Formaten sind Sie durch Ihre große Klappe aufgefallen. Sie haben mal gesagt, Sie sähen aus wie ein Mädchen und redeten wie ein 45-jähriger Araber.

Das stimmt. Ich habe eine große Klappe, aber nicht nur und nicht immer, sondern da, wo ich es brauche und wo es passt. Ich kann wie ausgewechselt sein, sehr nett und charmant. Aber die Kunstfigur Annajamfm spricht mit dieser Sprache und Art ganz gezielt eine bestimmte Gruppe von Leuten an, Menschen, die genau so reden und leben. Auf Instagram hat man das Privileg, sich seine eigene Gefolgschaft auszusuchen. Ich bin meine Social-Media-Karriere bedacht angegangen. Ich arbeite an einem bestimmten Image. Ich möchte mich nicht sexualisieren im Internet, ich will keine Stalker vor meiner Haustür stehen haben, und ich will nicht eine so krasse Bindung zu meinen Followern aufbauen, dass für sie eine Welt zusammenbricht, wenn sie feststellen, dass ich auch nur ein Mensch bin.

Ihre große Klappe kommt nicht von ungefähr. Sie haben es nicht immer leicht gehabt. Ihre Mutter hat mit Ihnen, als Sie acht Jahre alt waren, Saratow an der Wolga verlassen. Sie sind in Kattenturm groß geworden und waren nicht auf Rosen gebettet. In dem Format "Couple Challenge", wo die Kandidaten bewusst an ihre Grenzen gebracht werden, kam es zu vielen emotionalen Ausbrüchen. Eine Bemerkung hat Sie sehr getroffen. Einer der Teilnehmer sagte in Rage zu Ihnen, Sie sollten erst mal Deutsch lernen.

Ja, das hat mich so wütend gemacht und auch verletzt. Der das gesagt hat, hätte eigentlich einen Klatscher von mir kassiert, aber dann wäre ein Teil meiner Gage abgezogen worden, das wollte ich nicht.

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Die Bemerkung hat offenbar alte Wunden aufgerissen.

Auf jeden Fall. Bevor wir eine eigene Wohnung hatten, haben wir in einer Flüchtlingsunterkunft in Habenhausen und dann in einer Notunterkunft in Lesum gewohnt. In meiner Klasse war ich die einzige Ausländerin, obwohl man es mir nicht mal ansieht. Mit mir hat trotzdem keiner geredet. Besser wurde es erst in Kattenturm. Denn da waren auch fast alle Ausländer und auch fast alle arm. Ich habe mich normal gefühlt, denn es gab mehr wie mich, die ihren Eltern Briefe übersetzen mussten oder deren Klamotten vom Flohmarkt stammten. Kattenturm hat mir Selbstbewusstsein gegeben, hat mir Mut und mich durchsetzungsfähig gemacht und mich dazu gebracht, zu dem zu stehen, was ich war oder bin.

Hätten Sie sich mehr Hilfe von außen gewünscht, von der Schule, vom Staat?

Ich wusste schon früh, dass ich kreativ bin und eher einen künstlerischen Beruf haben wollte. Solche Leute sind in sozial benachteiligten Milieus noch einmal benachteiligt, weil das niemanden interessiert. Meine Mutter hat gesagt, ich soll beim Zahnarzt arbeiten gehen und nicht so einen Unsinn reden. Ich glaube, man muss schauen, wo die Stärken der Kinder liegen und sie darin fördern, statt alle über einen Kamm zu scheren. Wenn man Leuten, die mit Drogen dealen, frühzeitig beibrächte, wie sie ganz legal mit legaler Ware Geld verdienen können, würde die Hälfte die Finger vom Dealen lassen. Dass ich in der Schule noch die Kurve bekommen habe, lag vor allem von meiner Klassenlehrerin und der heutigen Leiterin meiner Schule. Die war sehr streng, noch strenger als meine Mutter. Die beiden haben mir so viel Druck gemacht, ich habe so viel Ärger bekommen, dass ich es nach der zweiten Klassenkonferenz begriffen hatte.

Sie wollen den Menschen Vorbild sein, die solche und ähnliche Erfahrungen machen.

Auf jeden Fall. Ich will ihnen sagen: Auch aus einem Kiffermädchen, das sich ein bisschen daneben benimmt und ständig "Digga" oder "Hurensohn" sagt, kann etwas Großes und Krasses werden. Ich bin genau für diese Leute da, für niemanden sonst.

Bekommen Sie Rückmeldungen in den sozialen Netzwerken, dass Sie diese Menschen auch erreichen?

Jeden Tag, und das treibt mich an. Ich hoffe auch, dass Gott mir anrechnet, dass ich anderen Hoffnung und Mut mache, ohne sie zu belehren.

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Vor vier Jahren sind Sie nach Berlin gegangen. Sind Sie über Bremen hinausgewachsen?

Ich liebe Bremen, mir ging es da gut. Ich habe alles gehabt: meine Mutter, meine ganzen Freunde, einen coolen Job und eine schöne Wohnung direkt am Werdersee. Darauf war ich verdammt stolz, das war ein Luxus für uns, also für die, die da auf der linken Seite der Weser groß geworden sind. Aber mich hat Berlin auch als Stadt gereizt und das Gehalt, da bin ich ganz ehrlich. Ich habe mich fast gefühlt wie Carry Bradshaw aus "Sex and the City" in New York. Aber jetzt wohne ich in Moabit, das ist mit Kattenturm vergleichbar. Es ist laut, es ist schmutzig, jeden Tag gibt es einen Polizeieinsatz.

Kommt eine Rückkehr nach Bremen infrage?

Langfristig plane ich, mein eigenes Unternehmen so weit aufzubauen, dass ich mich aus der Öffentlichkeit zurückziehen kann. Dann ist es möglich, dass ich nach Bremen zurückkehre. Wenn ich in Brandenburg auf dem Land nicht die richtige Immobilie finde, kann ich mir vorstellen, mir in Brake ein Häuschen zu suchen. Mein bester Freund ist gerade dorthin gezogen. Ich bin auch noch oft in Bremen, bei meiner Mutter und meinen Freunden. Allerdings habe ich meine beiden besten Freundinnen von Bremen mit nach Berlin genommen. Wir sind ein krasses Team.

Das Unternehmen Annajamfm hängt von Reichweite und Bekanntheit ab. Jan Böhmermann hat Ihre Karriere 2018 mit ins Rollen gebracht, als er ein Video von Ihnen auf seinen Kanälen teilte.

Das stimmt, ich bin unheimlich dankbar, dass er mich zweimal erwähnt hat. Dadurch, dass er eines meiner Videos geteilt hat, hat es die richtigen Leute erreicht, und ich habe meinen Job in Berlin bekommen. Auch als Oliver Pocher mal etwas von mir geteilt hat, habe ich richtig kassiert.

Sind weitere Auftritte in Trash-TV-Formaten geplant?

Auf jeden Fall, wenn die Gage stimmt. Ich habe nach dem ersten Format festgestellt, dass ich für ein paar Tausend Euro sieben Tage lang meine komplette Privatsphäre hergegeben habe. Das nächste Mal will ich mehr vom Kuchen abhaben. Mit meinem Werdegang und meiner Art kann ich nirgendwo anders so viel Geld verdienen wie in der Unterhaltungsbranche.

Das Gespräch führte Silke Hellwig.

Zur Person

Anna Orlova

ist in Bremen zur Schule gegangen. Nach einem Kommunikationsdesign-Studium an der Kunstschule Wandsbek in Hamburg hat sie die Social-Media-Kanäle bei "Bremen Next" betreut. Jetzt lebt und arbeitet sie in Berlin.

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